Warum echte Resilienz klare Rollen statt allzuständiger Sicherheit braucht
Die grosse Illusion: Wenn alles Sicherheit ist, sind wir sicher. Das Gegenteil stimmt. Daueralarm frisst Vertrauen – die eigentliche Währung jeder Krise. Resilienz entsteht aus Rollentrennung, Transparenz und begrenzter Macht.
Aktueller Aufhänger: Die DEFTECH-Analyse «Wer wird uns morgen verteidigen? Jenseits der Armee» zeigt eine Sicherheitsrealität, die quer durch zivile und militärische Räume verläuft – von Desinformation über Cyber bis Versorgung. Aber: Auch wenn die Lage unübersichtlich ist. Die Antwort ist nicht totale Sicherheitslogik, sondern saubere Rollenklarheit und Koordination.
Mehr zur Studie «Wer wird uns morgen verteidigen? Jenseits der Armee»
Eine pointierte Vorausschau aus der Schweiz: DEFTECH – das Technologiefrüherkennungsprogramm von armasuisse Wissenschaft & Technologie – bündelt in dieser Publikation den Blick auf Verteidigung jenseits der klassischen Armee. Leitidee: Sicherheit entsteht als Ökosystem aus staatlichen, wirtschaftlichen und zivilen Akteur:innen – vernetzt, aber mit klaren Rollen.
Die Studie wurde am 8. September 2025 publiziert; verantwortet von Quentin Ladetto (DEFTECH). Sie öffnet den Blick auf hybride Bedrohungen von Cyber über Informationsraum bis Versorgung und lädt Führungskräfte ein, Verteidigung als koordiniertes Zusammenspiel über Institutionengrenzen hinweg zu denken. Die Form ist zugänglich (Visuals, komprimierte Thesen), der Ton konstruktiv: weniger Alarm, mehr Orientierung.
Kurz: Eine nüchterne, visuell starke Einladung, Resilienz als geteilte Aufgabe zu organisieren – realistisch, praxisnah, anschlussfähig.
Das Versicherheitlichungs-Paradox
Wenn alles Sicherheit ist, verlieren Institutionen ihre Eigenlogik: Medien werden zur «Lage»-Verstärkerin, Schulen zu Disziplinierungsorten, Unternehmen zu Erfüllungsgehilfen ad hoc erweiterter Mandate. Demokratie verlernt den Streit, weil alles Notfall ist. Daraus entsteht keine Robustheit, sondern Friktion: Bürger:innen zweifeln, Organisationen warten auf «oben», Verantwortung diffundiert.
These: Wer alles zur Sicherheitsfrage macht, gefährdet Sicherheit – kommunikativ erzeugter Daueralarm verliert seine Wirkung und entwertet Vertrauen.
Koordination statt Kommando
Wir sehen die Lösung in einem Koordinationsmodell mit harten Grenzen. Es verbindet, ohne zu verschmelzen:
- Zivilgesellschaft als dezentrales Rückgrat: lokale Netzwerke, Medienkompetenz, Redundanzen. Keine verdeckten Staatsaufträge, keine schleichende Dienstpflicht.
- Politik & Verwaltung als Rahmengeberinnen: klare Mandate, befristete Vollmachten, Aufsicht, Begründungspflicht. Ausnahmezustände bleiben endlich.
- Armee als letztes Mittel: Schutz gegen Gewalt und klar definierte Einsätze im Cyber-/Informationsraum – mit Auftrag, Exit und parlamentarischer Kontrolle. Keine Dauerpräsenz im Alltag.
Dieses Sicherheitsdesign respektiert Unterschiede, ermöglicht verschiedene Meinungen und macht genau deshalb Zusammenarbeit möglich.
Fünf Handlungsfelder – und wer führt darin
Vernetzung heisst: Spezialist:innen arbeiten abgestimmt, nicht uniform.
- Früherkennung: Wissenschaft & Medien beobachten, analysieren, machen Unsicherheit explizit. Verwaltung und Unternehmen liefern Lagebilder und Daten – ohne Deutungshoheit zu beanspruchen und Massnahmen zu fordern.
- Schutz & Redundanz: Wirtschaft und Verbände agieren selbständig und verfolgen ihre Ziele – und arbeiten genau damit im Sinne vom grossen Ganzen. Die Politik setzt Standards und Anreize – steuert aber nicht das operative Detail.
- Aufklärung & Gegenrede: Medien und Schulen professionalisieren Faktenprüfung, Narrativerkennung, Ambiguitätstoleranz. Diese Fähigkeiten und Denkarten tragen sie in die Zivilgesellschaft. Und stellen damit sicher: Media Literacy ist etwas, das jede:r lernen kann.
- Hilfe & Stabilisierung: Gemeinden und Hilfsorganisationen koordinieren – Freiwillige ergänzen, werden aber nicht instrumentalisiert.
- Kontrolle & Rechenschaft: Parlamente, Gerichte, Aufsichten – mit echter Nachbereitung und Konsequenzen, nicht nur «Lessons Learned»-Slides.
Reality Check: Blackout + Informationskrieg
Lass uns ein mögliches Szenario und die optimale Reaktion im Informationsraum anschauen. In unserem Beispiel: Ein regionaler Stromausfall, flankiert von Falschmeldungen über angebliche Sabotage.
- 0–30 Minuten: Medien melden Fakten, markieren offene Fragen. Netzbetreiber aktivieren Notfallpläne, kommunizieren Reparaturpfade.
- Bis Stunde 5: Gemeinden öffnen Wärmeräume, betreuen Vulnerable. Faktenchecker adressieren Gerüchte, stellen Korrekturen bereit. Versorgung läuft hoch.
- Nach 48 Stunden: Öffentliche Nachbesprechung: Was lief, was nicht? Was wird angepasst? Technik und Informationslage werden transparent aufgearbeitet.
- Armee bleibt Reserve und wir in definierten Bedrohungslagen mit klarem Auftrag hin eingesetzt.
So kann Resilienz funktionieren: verlässlich, sichtbar, mit klaren Übergaben.
Drei Führungsprinzipien für Entscheider:innen
- Mandate klären: Wer entscheidet was, wie lange, unter welcher Aufsicht? Schriftlich. Verständlich. Kommuniziert.
- Zivile Stärken nutzen: Eigeninitiative fördern statt ersetzen. Kompetenzaufbau vor Kapazitätsausweitung.
- Transparenz praktizieren: Begründungspflichten und Bilanzierung als Standard – inklusive Fehlern. Vertrauen ist Ihre strategische Ressource.
Die Grundlagen, die wir dafür brauchen
- Rollenlandkarte erstellen: Alle Akteure, Aufgaben, Schnittstellen, Eskalationspfade – auf einer Seite.
- Mandats-Templates einführen: Start, Ziel, Befristung, Kontrollinstanz, Exit-Kriterium.
- Kommunikationsprotokoll definieren: Wer informiert wann wen, über welche Kanäle, mit welcher Unsicherheitskommunikation.
- Redundanzen zählen: Für Strom, Daten, Personal, Kommunikation. Was fällt aus? Was springt ein?
- Medienkompetenz verpflichtend machen: Für Führung und Teams – Quellen, Narrative, Evidenzgrade.
- Nachbesprechungen institutionalisieren: Öffentliche, protokollierte Reviews mit Massnahmenliste und Verantwortlichkeiten.
Fazit: Vertrauen ist die harte Währung
Die aktuelle Sicherheitsanalyse liefert die Topografie vernetzter Konflikte. Resilienz entsteht, wenn wir diese Komplexität demokratieverträglich organisieren: Trennung schützt Vielfalt, Transparenz erhält Legitimität, Freiwilligkeit stärkt Zusammenhalt.
Vernetzte Antworten ja – aber mit klaren Knoten und definierten Verbindungen. So bleibt das Netz robust, ohne totalitär zu werden. Der Weg dahin ist spannend, fordernd und für alle lehrreich. Wir müssen Entscheidungen fällen, gemeinsam trainieren und bereit sein, bestehende Konzepte zu aktualisieren und zu verbessern. Für eine Gesellschaft, in der nicht die Versicherheitlichung, sondern ein gegenseitiges Grundvertrauen die Basis ist.