These: Fairness ist ein Wert, aber kein Werkzeug. Führung entwirft Wirklichkeit – oder andere tun es.
Ein kurzer Praxisfall
Ein Energieversorger will sanieren.
Startframe: „Sanierungspflicht“ – Proteste, Verzögerungen.
Wechsel zum Möglichkeitsframe: „Wohnen mit Zukunft – leiser, sicherer, günstiger“.
Drei Massnahmen: Mini-Glossar, Musterwohnung, Hauswart:innen als glaubwürdige Stimmen.
Ergebnis: weniger Widerstand, schnellere Bewilligungen, höhere Teilnahme – nicht dank neuer Fakten, sondern dank neuer Bedeutung.
Leitfrage: Welche Realität machen wir mit unserer Sprache wahrscheinlicher?
Die Klimadebatte als Lehrstück
Das Klimadebatte-Beispiel – eine Abfolge:
- 1995: Wissenschaftler zeigen Kurven. CO₂ steigt. Die Welt bewegt sich nicht.
- 2005: Stärkere Kurven, mehr Daten. Immer noch: Welt bewegt sich langsam.
- 2015: Al Gore zeigt Fotos von schmelzenden Gletschern. Jetzt passiert was.
Was hat sich geändert? Nicht die Daten. Die waren 1995 schon wahr.
Geändert hat sich die Rahmung: Von „abstrakte Kurve” zu „sichtbare Veränderung”. Von „wissenschaftlich” zu „emotional nachvollziehbar”. Von „das ist ein Problem” zu „das ist hier – jetzt.”
Das ist kein Mangel unserer Gesellschaft. Das ist, wie Menschen funktionieren. Hirn braucht Narrative, nicht nur Zahlen.
Warum Fakten verlieren
Kommunikation ist ein Kampf um Bedeutungen. Nicht wer recht hat, gewinnt – sondern wer Wirklichkeit überzeugender erzählt. In vielen Köpfen dominiert „Verzicht“ statt „Gestaltungskraft“. Solange dieser Frame wirkt, prallen Fakten ab.
Mechanismus: Auswahl, Betonung, Wiederholung
- Erstes Bild gewinnt: Der Erstkontakt setzt den Bezugsrahmen.
- Kontrast schafft Kante: Ohne Gegenfolie bleibt alles grau.
- Wiederholung ist Führung: Rituale verankern Frames in Sprache, Bildern, Begegnungen.
Die Fairness-Falle der Aufgeklärten
Aus Angst vor „Spin“ werden Kanten gemieden, bis Scheinbalance bleibt. Doch Kommunikation ist immer Reduktion. Wer nicht framen will, wird geframed – als Ideolog:in, Panikmacher:in oder weltfremde Stimme.
Verantwortung statt Sentiment
Wirkung entsteht, wenn wir Begriffe setzen, Konflikte bewusst zuspitzen und Realitäten aktiv formen. Nicht als Manipulation, sondern als Verantwortung für das, was als möglich und nötig gilt. Wahrheit ohne Wirkung bleibt folgenlos. Wer führt, muss Wirklichkeit übersetzen – sonst führen andere.
Vom Verlust- zum Möglichkeitsnarrativ
Weg vom Verlustframing („was wegfällt“) hin zum Möglichkeitsframing („was wir gewinnen“). Menschen folgen nicht Excel, sie folgen Sinn.
Drei Sektorbeispiele:
- Energie: „Investition in Versorgungssicherheit“ statt „Sanierungspflicht“.
- Mobilität: „mehr Zeit und Sicherheit“ statt „Verbote“.
- Industrie: „Produktivität und neue Märkte“ statt „Dekarbonisierung als Last“.
Drei Hebel – kurz und operativ
1) Begriffe – Sprache als Betriebssystem
Check: Drei Kernbegriffe klar und einheitlich? — Do: Mini-Glossar, Shorthand, Negativliste. Beispiele: „Kosten“ → „Investitionen“, „Regulierung“ → „Qualitätsstandard“.
2) Bilder – konkret statt abstrakt
Check: Gibt es Szenen der Zukunft? — Do: Prototypen, Vorher–Nachher, Besuchsprogramme. Erzählen Sie einen Arbeitstag statt eine Folie.
3) Begegnungen – soziale Beweise
Check: Wer ist glaubwürdig jenseits des Managements? — Do: Mitarbeitende, Kund:innen, Bürger:innen als Rollenmodelle.
Fünf Fehler, die Wirkung kosten
- Faktenfeuerwerk ohne Plot (inkl. Scheinbalance).
- Heterogene Wortwahl – ein Projekt, drei Namen.
- Detailversprechen ohne Weg – Ziel ohne Etappen.
- Dauerkrisen-Ton – kurzfristig laut, langfristig stumpf.
- Komitee-Sprache – Abstrakta statt Entscheidungen.
Einwände fair kontern
- Einwand 1: „Das ist Manipulation”
- Die Kritik dahinter: „Ihr verdreht die Wahrheit für eure Ziele.”
- Ehrliche Antwort: Stimmt, Framing hat Absicht. Aber das heisst nicht lügen. Ein Energieversorger, der sagt „Wohnen mit Zukunft” statt „Sanierungspflicht” – er lügt nicht. Er wählt einen wahren Aspekt, den er betont. Der andere Aspekt wäre auch wahr gewesen – aber er hätte andere Handlungen ausgelöst. Das ist Verantwortung für Wirkung, nicht Täuschung.
- Das Kriterium: Ist das, was ich sage, wahr? Ja oder Nein?
Wenn Nein → das ist Manipulation.
Wenn Ja, aber „Ich betone Aspekt A statt Aspekt B” → das ist strategische Kommunikation.
- Einwand 2: „Das ist zu komplex, um das zu rahmen”
- Die Kritik: „Manche Themen sind so kompliziert, dass man sie nicht vereinfachen kann.”
- Ehrliche Antwort: Das ist wahr. Aber: Je komplexer ein Thema, desto wichtiger ist die Rahmung – nicht weniger. Ein Kompass für kompliziertes Gelände ist nicht überflüssig. Er ist notwendiger. Ohne Rahmung zerfällt Komplexität in Chaos.
- Einwand 3: „Ihr polarisiert”
- Die Kritik: „Ihr spaltet die Gesellschaft für eure Zwecke.”
- Ehrliche Antwort: Nein, wir sagen klar, wofür wir stehen. Das ist nicht Polarisierung – das ist Klarheit. Polarisierung wäre: „Die anderen sind böse.” Klarheit ist: „Wir verfolgen Ziel A. Das hat Trade-offs: Wir gewinnen B, wir verlieren C. Hier sind die Gründe.” Menschen können dann entscheiden. Das ist Respekt vor ihrer Entscheidungsfähigkeit, nicht Spaltung.
Ethikleitplanken
- Transparenz: Ziele und Annahmen benennen.
- Konsistenz: Gleiche Massstäbe für Freund:innen und Kritiker:innen.
- Evidenznähe: Frames auf belastbare Fakten stellen.
- Würde: Nicht abwerten, nicht entmenschlichen.
Wirkung messen – drei Kennzahlen
- Wie Sie messen, ob der Frame wirkt – konkret:
- 1. Semantische Konsistenz
- Checken Sie: In 10 zufälligen Texten/Statements Ihrer Organisation – wie oft erscheint das Kernnwort?
- Ziel: Mindestens 8 von 10 → der Frame wirkt
- Unter 5 von 10 → Ihr Team hat den Frame nicht verinnerlicht
- 2. Widerhall in Entscheidungen
- Wenn Sie sagten: „Das ist eine Investition in Versorgungssicherheit” – wird das auch so in Budgets reflektiert? Wo taucht diese Begründung in Beschlüssen auf? Vom Energieversorger zum Gemeinderat zur Bevölkerung – sehen Sie Ihre Rahmung wieder?
- 3. Gegenframe-Resilienz
- Kritiker sagen „Das ist Greenwashing” oder „Das ist Kostentreiberei”. Kann Ihr Team kontern, ohne die Linie zu verlieren? Oder zerfällt die Erzählung unter Kritik?
Zurück zum Praxisfall
Der Energieversorger hat nicht die Physik geändert, sondern den Möglichkeitsraum. Sprache wurde zur Infrastruktur, die Handeln erleichtert.
Die eigentliche Zumutung
Wirklichkeit ist gestaltbar. Kommunikation ist nicht Begleitmusik, sondern Entwurfsraum. Wer Gestaltung meidet, überlässt das Entwerfen anderen. Fairness bleibt Fundament – aber sie ist kein Werkzeug. Wirkung braucht Führung in der Sprache.
Merksatz: Ohne Frame bleibt die Zahl ein Stein. Mit Frame wird sie ein Wegweiser.